Der Inschriftenstein König Ramkamhaengs gilt als ältestes Zeugnis der Thaischrift und als eine der wichtigsten Quellen über die Regierungszeit dieses Königs von Sukothai, die in der Geschichte Thailands allgemein als "Goldenes Zeitalter" gilt. Replik des Steines am Ramkamhaeng Memorial / Sukothai.
 
Der Stein wurde von Mongkut entdeckt, der, bevor er im Jahre 1851 als Rama IV. den Thron bestieg, lange Jahre als Wandermönch in Thailand unterwegs war.
Das Original befindet sich im National Museum in Bangkok, man stösst jedoch überall im Lande auf Repliken, ein Zeichen auch für die Bedeutung, die dem Stein beigemessen wird.
Angeblich schuf Ramkamhaeng persönlich das Thaialphabet aus Schriftzeichen der Mon und der Khmer. Dies wird jedoch mittlerweile von verschiedenen Seiten angezweifelt. Man kann jedoch annehmen, dass zumindest der Auftrag, der jungen Nation eine eigene und einende Schrift zu geben, direkt von ihm, der als äusserst visionärer und progressiver Monarch gilt, stammte.
Die folgende Übersetzung habe ich anhand der "offiziellen" englischen Übersetzung von A.B. Griswold
und Prasert na Nagara angefertig und bin infolgedessen nicht sicher, ob ich immer den wirklichen Wortlaut des Steines widergebe. Sinngemäss sollte die Botschaft jedoch rüberkommen. Auch die Pragraphierung stammt von Griswold und Prasert.
 
1. Mein Vater wurde Sri Inthrathit genannt, meine Mutter wurde Lady Süang genannt, mein älterer Bruder wurde Banmuang genannt. Es gab fünf von uns, die aus demselben Mutterleib geboren wurden : drei Jungen und zwei Mädchen. Mein ältester Bruder starb, als er ein Kind war.

2. Als ich neunzehn Jahre alt war, griff Sam Chon, der Herrscher von Muang Chot, Muang Tak an. Mein Vater griff Sam Chon auf der Linken an, Sam Chon preschte auf der Rechten vor. Sam Chon führte einen starken Angriff; meines Vaters Männer rannten davon. Ich floh nicht. Ich bestieg meinen Elefanten, bahnte mir einen Weg durch die Soldaten und trieb ihn nach vorne zu meinem Vater. Ich verwickelte Sam Chon in einen Zweikampf. Ich attackierte Sam Chons Elefanten, Muang Mas genannt, und verletzte ihn. Sam Chon floh. Danach nannte mein Vater mich Phra Ramkamhaeng, weil ich Sam Chons Elefanten angegriffen hatte.

3. Während meines Vaters Leben diente ich meinem Vater und meiner Mutter. Fing ich Wild oder Fisch, brachte ich es meinem Vater. Fand ich irgendwelche sauren oder süssen Früchte, die köstlich und gut zu essen waren, brachte ich sie meinem Vater. Wenn ich Elefanten jagte, entweder mit der Schlinge oder indem ich sie in eine Umzäunung trieb, brachte ich sie meinem Vater. Eroberte ich eine Stadt oder ein Dorf und erbeutete Elefanten, edle junge Männer und Frauen, Silber oder Gold, übergab ich alles meinem Vater. Als mein Vater starb, war mein älterer Bruder noch am Leben und ich diente ihm genauso standhaft, wie ich meinem Vater gedient hatte. Als mein älterer Bruder starb, bekam ich das ganze Königreich.

4. In der Zeit König Ramkamhaengs gedeiht das Land Sukothais. Es gibt Fisch im Wasser und Reis in den Feldern. Der Herrscher des Reiches erhebt für seine Untertanen keine Abgaben für das Passieren der Strassen; sie führen ihr Vieh zum Markt oder reiten ihre Pferde zum Verkauf. Wer immer mit Elefanten handeln möchte, tut dieses; wer immer mit Pferden handeln möchte, tut dieses; wer immer mit Silber oder Gold handeln möchte, tut dieses. Wenn irgendein Gemeiner oder Mann von Stand stirbt, verbleibt sein gesamter Besitz -seine Elefanten, seine Frauen, Kinder, seine Speicher, Reis, seine Gefolgsmänner und seine Areca- und Betelhaine - vollständig bei seinen Kindern. Wenn Gemeine oder Männer von Stand sich nicht einig sind und Streit haben, untersucht der König die Angelegenheit, um die Wahrheit herauszufinden und regelt den Fall gerecht. Er macht keine gemeinsame Sache mit Dieben oder begünstigt Leute, die Unterschlagungen begehen. Sieht er den Reis von jemandem, begehrt er ihn nicht, sieht er den Reichtum von jemandem, wird er nicht zornig. Reitet jemand auf einem Elefanten herbei, um sein eigenes Land unter den Schutz des Königs zu stellen, hilft er ihm, behandelt ihn höflich und kümmert sich um ihn; wenn jemand ohne Elefanten, Pferde, ohne edle junge Männer und Frauen, ohne Silber und Gold zu ihm kommt, gibt er ihm etwas und hilft ihm, bis jener sich selbst etwas geschaffen hat. Wenn er feindliche Krieger fängt, tötet oder schlägt er sie nicht. Er liess eine Glocke in dem Tor aufhängen und jedesmal wenn ein Untertan ein Kümmernis hat, das ihm Bauchschmerzen verursacht und sein Herz schwer macht und welches er seinem Herrscher vortragen möchte, ist es einfach : Er geht hin und schlägt die Glocke, die der König dort hat aufhängen lassen; Ramkamhaeng, der Herrscher des Königreiches, hört den Klang, geht hin und befragt den Mann, untersucht den Fall und regelt ihn gerecht. Deshalb rühmen die Leute seines Reiches Sukothai ihn. Sie pflanzen überall im Reichsgebiet Arecahaine und Betelhaine; Kokosnusshaine und Durianhaine werden in grosser Fülle in diesem Reich angepflanzt, Mangohaine und Tamarindenhaine werden in grosser Fülle in diesem Reich angepflanzt. Jeder der etwas pflanzt, behält es auch. In dieser Stadt gibt es einen grossartigen Teich, dessen Wasser so klar und gut zu trinken ist, wie das Wasser des Khong in der Trockenzeit. Der dreifache Festungswall, der diese Stadt Sukothai umgibt, misst dreitausendundvierhundert Faden.

5. Die Menschen dieser Stadt Sukothai mögen es, die Gebote zu befolgen und Almosen zu geben. König Ramkamhaeng, der Herrscher dieser Stadt Sukothai, ebenso wie die Prinzen und Prinzessinnen, die edlen jungen Männer und Frauen, die Adligen, ohne Ausnahme, Mann und Frau, sie alle glauben an die Religion des Buddha und befolgen während der Regenzeit alle Gebote. Am Ende der Regenzeit begehen sie die Kathin Zeremonien, die einen Monat dauern, mit grossen Mengen an Schnecken, mit grossen Mengen an Arecanüssen, mit grossen Haufen von Blumen, mit Polstern und Kissen. Die Gaben, die sie den Mönchen zum Kathin-Fest geben, betragen zwei Millionen jedes Jahr. Jedermann geht zu dem Arannika dort, um die Gebete aufzusagen. Wenn sie bereit sind, zurückzukehren, gehen sie gemeinsam, in einer langen Reihe vom Arannika bis zum Paradeplatz. Ständig sprechen sie zusammen Huldigungen aus, begeleitet von Instrumenten und Gesang. Wer immer feiern möchte, tut dies; wer immer lachen möchte, tut dies; wer immer singen möchte, tut dies. Da diese Stadt Sukothai vier sehr grosse Tore hat und weil die Menschen in grosser Anzahl kommen, um zu sehen wie der König Kerzen und Feuerwerk anzündet, ist die Stadt bis zum Bersten gefüllt.

6. In dieser Stadt Sukothai gibt es Wihans und Mönche, es gibt goldene Buddhastatuen; da sind Statuen, achtzehn Ellen hoch; da sind grosse Statuen des Buddha und mittelgrosse; da sind grosse Wihans und mittelgrosse; da sind Mönche und Novizen, Theras und Mahatheras.

7. Im Westen dieser Stadt Sukothai befindet sich der Arannika, der von König Ramkamhaeng errichtet wurde, als Geschenk für den Mahathera Sangharaja, der die Schriften vom Anfang bis zum Ende studiert hat; der weiser ist als irgendein anderer Mönch im Königreich und der aus Sri Dharmaraja hierher gekommen ist. Im Arannika befindet sich ein rechteckiger Wihan, hoch und ausserordentlch schön und eine achtzehn Ellen hohe Statue eines stehenden Buddha.

8. Im Osten dieser Stadt Sukothai befinden sich Wihans und Mönche, da ist der grosse See, da sind Areca- und Betelhaine, Hochland- und Tieflandhöfe, Anwesen, grosse und kleine Dörfer, Mango- und Tamarindenwäldchen. Sie sind so wunderbar anzusehen, als wären sie nur dafür gemacht worden.

9. Im Norden dieser Stadt Sukothai befindet sich der Bazar, da ist die Acanstatue, da sind die Prasadas, da sind Kokosnuss- und Durianwäldchen, Hochland- und Tieflandhöfe, Anwesen, grosse und kleine Dörfer.

10. Im Süden dieser Stadt Sukothai befinden sich Kutis mit Wihans und dort lebende Mönche, da ist der Damm, Kokosnuss- und Durianhaine, Mango- und Tamarindenwäldchen, da sind Begflüsse und der Phra Kaphung. Der göttliche Geist dieses Berges ist stärker als irgendein anderer Geist in diesem Königreich. Wer auch immer der Herrscher dieses Reiches von Sukothai sein möge, huldigt er jenem auf die richtige Art, mit den richtigen Gaben, wird dieses Königreich Bestand haben und gedeihen. Aber huldigt er ihm auf die falsche Art und gibt die falschen Gaben, wird der Geist des Berges das Reich nicht länger beschützen und es wird verloren gehen.

11. Im Jahre 1214, dem Jahr des Drachen (1292 a.d.), befahl König Ramkamhaeng, Herrscher dieses Königreiches von Sukothai und Si Satchanalai, der vierzehn Jahre zuvor diese Palmen anpflanzen liess, seinen Handwerkern, eine grosse Steinplatte zu schneiden und sie in die Mitte dieser Palmen zu stellen. Zu Neumond, am achten Tag des zunehmenden Mondes, dem Tag des Vollmondes und am achten Tag des abnehmenden Mondes, geht einer der Mönche, Theras und Mahatheras dorthin und setzt sich auf die Steinplatte, um für die Masse der Laien, die die Gebote befolgen, das Dharma zu lehren. Wenn kein Tag zum Lehren des Dharma ist, geht Ramkamhaeng, König von Si Satchanalai und Sukothai dorthin und setzt sich auf die Steinplatte und diskutiert mit Beamten. Adligen und Prinzen die Staatsangelegenheiten. Am Tag des Neumondes und am Tag des Vollmondes, wenn der weisse Elefant namens Rucasri mit einer Decke und mit dem , mit Quasten verzierten Kopftuch geschmückt wird, immer mit Gold an beiden Stosszähnen, besteigt ihn Ramkamhaeng und reitet zu dem Arannika, um dem Sangharaja zu huldigen und anschliessend zurückzukehren. Es gibt eine Inschrift in der Stadt Chalieng, errichtet neben dem Sri Rattanadhatu; es gibt eine Inschrift in der Höhle, die man Phra Rams Höhle nennt, die sich am Ufer des Flusses Samphai befindet und es gibt eine Inschrift in der Rattanadhara Höhle. In diesem Palmenhain sind zwei Pavillons; einer heisst Sala Phra Masa und einer heisst Buddhasala. Diese Steinplatte heisst Manangasilabat. Sie ist hier aufgestellt, damit jeder sie sehen kann.

12. Alle Ma, die Kao, die Lao, die Tai des Landes unter dem Himmelsgewölbe und die Tai die am U und Khong leben, kommen und huldigen Sri Inthrathits Sohn, König Ramkamhaeng, der der Herrscher über das Reich von Si Satchanalai und Sukothai ist.

13. Im Jahre 1207, dem Jahr des Ebers (1285 a.d.), liess er die heiligen Reliquien ausgraben, so dass jeder sie sehen konnte. Sie wurden einen Monat und sechs Tage lang angebetet, anschliessend begrub man sie in der Mitte von Si Satchanalai und über ihnen wude ein Chedi erichtet, der nach drei Jahren fertiggestellt war.

14. Früher gab es diese Tai-Buchstaben nicht. Im Jahre 1205, einem Jahr der Ziege (1283 a.d.), sammelte Ramkamhaeng seinen Geist und sein Herz, um diese Tai-Buchstaben zu entwerfen. Diese Buchstaben existieren nun, weil dieser Herrscher sie entwarf.

15. König Ramkamhaeng war der Herrscher über alle Tai. Er war ein Lehrer, der alle Tai lehrte, Verdienste zu erwerben und das Dharma zu verstehen. Unter allen Menschen, die in den Ländern der Tai leben, gibt es keinen, der ihm in Wissen und Weisheit gleichkäme, in Tapferkeit und Mut, in Kraft und Stärke. Er war in der Lage den Thron von Feinden zu unterwerfen, die grosse Königreiche und viele Elefanten besassen. Die Orte die sich ihm unterwarfen umfassen im Osten Sra Luang, Song Khwae, Lum Pa Cai, Sakkha, die Ufer des Khong, und Viang Can-Viang Kham, welches der weiteste Ort ist. Im Süden umfassen sie Kanthi, Phra Bang, Phraek, Suphannaphum, Ratchaburi, Petchaburi, Si Dharmaraja und die Meeresküste, die der weiteste Ort ist. Im Westen umfassen sie Muang Chot, Muang ...n und Hamsavati; die See ist die Grenze. Im Norden umfassen sie Muang Phlae, Muang Man, Muang Nan, Muang Phlua und - auf der anderen Seite des Khongufers - Muang Sava, welches der weiteste Ort ist. Alle Menschen, die in diesen Gebieten wohnen, wurden von ihm in Übereinstimmung mit dem Dharma aufgezogen, jeder von ihnen.
 
In der jüngeren Vergangenheit wurde die Echtheit des Steines oftmals angezweifelt und man unterstellte, dass es sich um eine Fälschung aus dem 19. Jahrhundert handele. Man argumentiert damit, dass die Sprache des Steines nicht in die Regierungszeit Ramkamhaengs passe. Dies hätte zur Folge, dass ein grosser Teil der Geschichte Thailands komplett umgeschrieben werden müsste.
Ich ziehe es jedoch vor, der Argumentation David K. Wyatts zu folgen, der dem Stein Authentizität bescheinigt. Für seine Argumentation analysiert Wyatt den Text des Steines und seine Sprache und kommt zu dem Schluss, dass sie sehr wohl die Sprache des 13. Jahrhunderts ist. So wirkt z.B. die Szene des Elefantenzweikampfes so, als wäre sie von einem direkten Beteiligten verfasst worden. Es wird darauf hingewiesen, dass der Angriff explizit dem Elefanten galt. Hätte ein Fälscher des 19. Jahrhunderts, der den König als tapferen Helden darstellen wollte, nicht eher einen direkten Angriff auf den Gegner geschildert ?
Das Hauptargument für die Echtheit des Steines liefert für Wyatt jedoch die Tatsache, dass es keine anderen Quellen gibt, an denen man die Authentizität des Steines belegen könnte. Das Bild, dass die Historiker sich über die Regierungszeit Ramkamhaengs gemacht haben, leitet sich zum grössten Teil vom Inhalt dieses Steines ab. Ist es da nicht unsinnig, die Authentizität des Steines an dem Bild zu messen, dass man sich ja gerade von dem Stein selbst gemacht hat ?
 
 
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