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Rama V. ( Chulalongkorn )
*20.09.1853 - †23.10.1910
 
Zugegeben : Gerade der Kult um Rama V., der fast schon Züge religiöser Inbrunst enthält, wirkt für Europäer und besonders uns Deutsche halbwegs befremdlich. Seine Bilder sind allgegenwärtig und am 23.10., seinem Todestag, versammeln sich jedes Jahr Tausende an seinem Standbild, um ihm ihre Ehre zu erweisen. Auch ich habe mich lange gefragt, was an dem etwas bullig wirkenden Mann, der in seinen europäischen Kleidern und Uniformen oftmals eher komisch wirkt, so besonders gewesen sein soll. Je mehr ich mich jedoch mit Chulalongkorn und seiner Regierungszeit auseinandersetzte, umso mehr wuchsen auch bei mir die Bewunderung und die Erkenntnis, dass es sich hier um einen Herrscher handelte, der nicht nur ein Segen für Thailand war, sondern ein Mann, wie ihn die Weltgeschichte leider nur äusserst selten hervorbringt und zur rechten Zeit an den rechten Ort setzt. Wenn es je ein Herrscher verdient hat, den Beinamen "der Grosse" zu tragen, dann ist es sicher dieser Mann, der nie durch militärische Eroberungen von sich reden machte, aber mit enormer Intelligenz, Talent und Weitblick ausgestattet war,
nicht zu reden von seiner Feundlichkeit und Wärme, die alle rühmten, die mit ihm Kontakt hatten.
 

Seine Amtseinführung stand unter keinem guten Stern : Als sein Vater, Rama IV., im Jahre 1868 starb, herrschten in der thailändischen Verwaltung im Prinzip noch die alten Zustände, wie sie aus Ayutthaya übernommen worden waren. Der König war das Oberhaupt des Staates und der Religion, die Verwaltung und Regierung wurden jedoch von verschiedenen Ministerien aus geleitet, die traditionell in der Hand einiger adliger Familien lagen und praktisch autonom agierten. Die Posten wurden innerhalb dieser Familien vererbt und es liegt auf der Hand, dass diese Familien keinerlei Interesse an irgendwelchen Veränderungen dieses Status hatten. Entlegenere Provinzen waren aufgrund der mangelnden Infrastruktur kaum zu kontrollieren und die dortigen Gouverneure handelten de facto völlig eigenmächtig, was das gesamte Reich sehr schnell in einen Konflikt mit den europäischen Kolonialmächten hätte bringen können, die, wie das Beispiel Burmas gezeigt hatte, nur auf einen Vorwand lauerten.
Schon Mongkut hatte die dringende Notwendigkeit von Reformen in der Verwaltung des Reiches erkannt und mehrfach geäussert. Dies setzte die alten Oligarchen gehörig unter Druck, da sie wussten, dass Mongkut, auch wenn er allgemein als mildtätiger Mensch dargestellt wird, durchaus resolut genug war, um seine Vorstellungen notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Mongkut wurde jedoch im Wesentlichen von den europäischen Mächten von der Durchsetzung der nötigen Refomen abgehalten, da er sich eine evtl. damit verbundene Schwächung des Staates nicht leisten konnte. Als Mongkut 1868 an Malaria starb, konnte der alte Adel zunächst aufatmen. Sein Nachfolger Chulalongkorn war erst 15 Jahre alt und dieser ständig kränkelnde Junge, der oftmals dem Tode näher war, als dem Leben, schien leicht manipulierbar zu sein. Es sollte sich jedoch bald herausstellen, welch ein wacher und blitzgescheiter Geist in dem Jungen steckte. Chulalongkorns Vate war darauf bedacht gewesen, dass sein Sohn neben einer klassischen Thaierziehung auch eine europäische Erziehung genoss und er selbst hatte Chulalongkorn auf seine zukünftigen Aufgaben vorbereitet.
Da der neue König jedoch noch zu jung zum Regieren war, übernahm zunächst der Chefminister Chao Phraya Srisuriyawongs die Regierungsgeschäfte. Chulalongkorn nutzte die Zeit bis zu seiner Volljährigkeit mit Reisen nach Java, Burma, Singapur und Indien, damals allesamt europäische Kolonien, wo er sich intensiv mit der europäischen Verwaltung auseinandersetzte und auch deren Vorteile erkannte.
Am 16. November 1873 wurde Chulalongkorn schliesslich zum zweiten Male gekrönt und übernahm als Rama V. die Amtsgeschäfte. In seiner Antrittsrede erklärte er das Wohlergehen Siams und seiner Bevölkerung zu seiner obersten Priorität.
Eine seiner ersten Reformen brach schon ein Tabu : Bis zu diesem Zeitpunkt mussten sich alle Untertanen dem König quasi im Kriechen nähern. Rama V. erklärte, er sei gegen jede Form der Unterdrückung und erlaubte in seiner Anwesenheit das Sitzen auf Stühlen. Diese Reform erscheint zwar auf den ersten Blick unbedeutend, machte dem Adel jedoch schnell klar, dass sie es mit einem neuen Herrschertyp zu tun hatten, der wusste was er wollte und auch bereit war, eigene Privilegien hinter das Wohl seiner Untertanen zu stellen.
( Eine anderes höfisches Tabu sollte noch tragische Folgen haben : Im Jahre 1881 ertranken Ramas V. Lieblingsfrau Sunanda Kumariratana und eine gemeinsame Tochter bei einem Bootsunfall vor den Augen vieler anwesender Höflinge. Diese schritten jedoch nicht ein, da es ihnen zu diesem Zeitpunkt noch verboten war, die Mitglieder des königlichen Hauses auch nur zu berühren. )
Schon seine nächsten Reformversuche griffen jedoch direkt den alten Adel an. Da ihm die Sklaverei schon lange ein Dorn im Auge war, beschloss er diese abzuschaffen, wusste aber auch, dass es nur weiteres Elend erzeugen würde, wenn er Menschen, die es nie gelernt hatten, für sich alleine zu sorgen plötzlich in die Freiheit entliess. Er ging also auch hier schrittweise vor, indem er zunächst nur die Kinder von Sklaven zu freien Menschen erklärte.

"Von einem Tag auf den anderen wird es die Sklaven um das Nötigste an Essen und ein Dach über dem Kopf bringen, da sie es ja nie lernen konnten, für sich selber zu sorgen."
( Rama V. zur Abschaffung der Sklaverei )
In einem zweiten Schritt ordnete er an, dass die Besitzer von Sklaven für bestimmte Dienstleistungen zu bezahlen hätten. So konnten sich die Besitzer schonmal daran gewöhnen fortan Lohn zu zahlen und die Sklaven wiederum daran, selbst Geld zu verdienen. (Letztendlich wurde die Sklaverei dann jedoch erst 1908 abgeschafft.) Dies griff den Adel und vor allem die Basis seines Wohlstandes direkt an und eine Reaktion liess nicht lange auf sich warten.
Aus Ayutthaya hatte die Tradition eines "Vize-Königs" fortbestanden. Dieser sollte die Regierungsgeschäfte übernehmen, falls der König plötzlich nicht in der Lage dazu war. Der Vizekönig lebte direkt gegenüber vom Königspalast im alten Wang Na-Palast, auf dessen Gelände sich heute das National Museum befindet und war mit einigen Privilegien ausgestattet, darunter eigenen Steuereinahmen, einer eigenen Bürokratie und vor allem eigenen militärischen Kräften. Zu Zeiten Ramas V. übte ein entfernter Cousin des Köngis, Prinz Wichaichan, diese Rolle aus. Das Amt des Vizekönigs war jedoch ein Instrument des alten Adels und vor allem die Tatsache, dass er über eine eigene Armee verfügte, bedeutete eine ständige Bedrohung für den König. 1874 eskalierte dieser Konflikt schliesslich. Es ist nicht klar, ob es mit Zustimmung des Königs geschah, aber einer von Chulalongkorns Getreuen griff den Vizekönig verbal an. Dieser mobilisierte daraufhin, angestachelt vom alten Adel, seine Truppen. Das Reich stand an der Schwelle zum Bürgerkrieg. Plötzlich, die Gründe sind ebenfalls unklar, flüchtete Wichaichan jedoch in die britische Botschaft und bat um Asyl. Zur selben Zeit befand sich gerade der britische Gouverneur von Singapur in Bang-
kok und griff vermittelnd in den Konflikt ein. Das Ergebnis war, dass Wichaichan vorerst Vizekönig blieb, seine Privilegien jedoch drastisch beschnitten und vor allem seine Truppen erheblich reduziert wurden. Später liess Chulalongkorn jedoch die Position des Vizekönigs komplett abschaffen. Dieser Konflikt, der in der thailändischen Geschichtsschreibung fast vollständig ignoriert wird, macht deutlich, in welcher realen Gefahr sich der junge König befand. Die Entmachtung seines grössten Gegenspielers bedeutete jedoch auch einen grossen Sieg für den König und seine reformwilligen Anhänger über den alten Adel, der entgültig einsehen musste, dass der junge König niemand war, mit dem man Spielchen treiben konnte. Auf der anderen Seite erkannte aber Rama V. auch, dass er äusserst behutsam vorgehen musste, wollte er die Stabilität des Reiches nicht gefährden. Tatsächlich gab es in den folgenden zehn Jahren keine weiteren Reformen mehr. Rama V. nutzte diese Zeit stattdessen, um einen reformwilligen Block aufzubauen. Da er den Söhnen des alten Adels nicht trauen konnte, griff er hauptsächlich auf seine jüngeren Brüder und Verwandten und einige "einfache" aber talentierte Thais zurück, die er zum Studium nach Europa schickte und nach ihrer Rückkehr langsam auf zukünftige Aufgaben vorbereitete, indem er ihnen immer grössere Aufgaben gab und sie ständig testete. Übrig blieb ein Kader junger Männer, über die westliche Beobachter einstimmig urteilten, dass sie zu den intelligentsten, motiviertesten und fähigsten Leuten gehörten, die sie jemals gesehen hatten.
Auch wenn der junge König die direkte Konfrontation mit dem Adel scheute, wusste er doch, dass die Zeit auf seiner Seite war. Rama V. konnte zwar die alten Oligarchen nicht ohne triftigen Grund von ihren Posten vertreiben, er hatte aber die Möglichkeit, deren Nachfolger zu bestimmen. Sobald ein alter Amtsträger starb, setzte Rama V. umgehend einen seiner Getreuen auf den freien Posten. So erledigte sich dieses Problem praktisch auf biologischem Wege.
Desweiteren holte Rama V. eine grosse Anzahl Europäer als Berater an seinen Hof, die ihm bei Aufbau neuer Strukturen helfen sollten.
Erst ab ca. 1890 wurde der Reformkurs wieder aufgenommen, diesmal aber mit einer Wucht, die selbst die Bevölkerung, die ja hauptsächlich von den Reformen profitieren sollte, an den Rand ihrer Aufnahmebereitschaft brachte. So beschwerten sich eines Tages leprakranke Bettler beim König, da sie fürchteten, mit dem verbesserten Gesundheitswesen auch die Grundlage für ihren Lebensunterhalt, nämlich ihre Krankheit, zu verlieren.
Es gibt kaum einen Bereich, dem Rama V. nicht persönlich seine Aufmerksamkeit zuwandte : Er förderte den Aufbau einer modernen Infrastruktur, liess Strassen bauen und Eisenbahnen und Telegrafenleitungen errichten. Dies ermöglichte es ihm, auch die entlegendsten Gebiete des Reiches unter die zentrale Kontrolle speziell ausgebildeter Beamter zu stellen. Das überkommene Rechtssystem, das zum grössten Teil noch aus Ayutthaya stammte, wurde abgeschafft. Die Folter wurde verboten und moderne Gesetze festgeschrieben. Die Justiz wurde in die Hände von ausgebildeten Richtern und Anwälten gelegt.
Die Staatsfinanzen wurden zentralisiert und ein modernes Budgetierungssystem eingeführt.
"Alle meine Untertanen, angefangen von meinen königlichen Kindern bis zu den einfachsten Bürgern, werden dieselben Möglichkeiten haben, zu lernen."
( Rama V. zur Bildung )
Besonders die Erziehung und Bildung seines Volkes lagen Rama V. am Herzen. Er gründete die erste Sprachschule für Englisch auf dem Gelände des Königspalastes und die erste Universität, aus der später die nach ihm benannte Chulalongkorn-Universität hervorging. Sein Ziel war jedoch nicht nur Verbreitung von reinem Wissen, sondern auch die von Ethik und moralischen Standards. Aus diesem Grunde setzte er bewusst auch auf die vorhandene Infrastruktur der buddhistischen Klöster.
Desweiteren schuf Rama V. einen Staatsrat, der praktisch als das erste wirkliche Kabinett Thailands gilt. Militär und Marine wurden nach europäischen Vorbildern modernisiert.
Aussenpolitisch befand sich der König in einer heiklen Situation :
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte das europäische Kolonialstreben, insbesondere Englands und Frankreichs, in Südostasien einen Höhepunkt erreicht. Rama V. wusste, dass ein Konfrontationskurs mit diesen Mächten einen Krieg bedeuten würde, den sein Land militärisch niemals gewinnen konnte und der das Ende eines freien Siams bedeuten würde. Er setzte also alles daran, Siam als neutralen Pufferstaat zwischen den Grossmächten und ihren Einflussgebieten zu etablieren. Im Westen (Burma) und im Süden (Malaysia) sassen die Engländer, im Osten (Indochina) die Franzosen.
Allerdings musste er weite Gebiete Siams, vor allem im heutigen Kambodscha und Laos an die Grossmächte abtreten. Auf der anderen Seite festigte Rama V. die Bindung an Siams nördlichen Vasallen Lan Na. Da er die dortigen Herrscher als zu schwach ansah, heiratete er kurzerhand in deren Dynastie ein und übergab anschliessend die Regierungsgeschäfte an siamesische Beamte. Dies bedeutete zwar das Ende eines unabhängigen Lan Na, stärkte jedoch seine und Siams Stellung und führte letztlich dazu, dass beide Staaten niemals kolonialisiert wurden. Das Beispiel Vietnam zeigt überdeutlich, welche fatalen Auswirkungen die Kolonialisierung und vor allem ihre Überwindung für die betroffenen Staaten hatte.
Rama V. besuchte als erster König Siams das europäische Ausland und zwar in den Jahren 1897 und 1907. Hier erregte der fremde König vor allem wegen seiner Kultiviertheit und seines zuvorkommenden Auftretens grosse Bewunderung und es gelang ihm freundschaftliche Kontakte zu beinahe allen Regierungen aufzubauen.
Diese Besuche und auch das Auftreten des Köngs, der selber europäische Kleidung bevorzugte, lösten wiederum in Thailand einen kulturellen Umschwung aus : Die europäische Bekleidung wurde en vogue und auch das Schönheitsideal änderte sich. Während Frauen zuvor immer kurze Haare getragen hatten, liessen sie es nun lang wachsen und hörten auf Betelnüsse zu kauen, um keine verfärbten Zähne mehr zu bekommen.
Der König war jedoch nicht nur politisch mit weitgehenden Talenten gesegnet. In seiner "Freizeit" schrieb er Theaterstücke, Gedichte und Novellen in verschiedenen klassischen Stilen. Berühmt sind auch seine Reiseberichte die er im Stile von Briefen an seine Tochter verfasste. Und ganz nebenbei zeugte er auch noch mit 39 Ehefrauen eine beträchtliche Anzahl von Kindern, deren Anzahl jedoch in verschiedenen Quellen variiert. Als Rama V. im Jahre 1910 starb, hatte er den Staat von einem rückständigen, grösstenteils von Korruption und Willkür geprägten Agrarstaat in die Moderne befördert und es gibt kaum einen Bereich des modernen Thailand, der nicht irgendwo die Ideen und Vorstellungen dieses grossen Königs widerspiegelt. Verehrer am Denkmal des Koenigs.
 
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